5 Fragen an Timo
13. October 2020F#ing 10 years already gone
14. October 2020F#ing 10 Jahre schon vorbei
Ein Rückblick von Sebastian Kielmann, CEO Picalike GmbH
Die Idee
Vor fast genau 20 Jahren wechselte ich von der Forschung zur Indexierung und Suche von Texten zur Analyse und Feature-Extraktion von Bildern. Mich reizte es, dass Bilder sprachunabhängig sind und selten doppelte Bedeutungen haben. Als ich anfing, mich mit dem Thema Bildanalyse zu beschäftigen, erwähnte ich dies meinem damaligen Chef, der in Physik promoviert hatte. Seine Reaktion darauf war ausschlaggebend für die darauffolgenden 20 Jahre: Er sagte, dass das, was ich vorhabe, nicht machbar sei. Es gab damals kein Arxiv.org, KI war nicht gerade beliebt, GPUs wurden noch nicht wirklich für Matrizenmultiplikation verwendet und entsprechende Paper aus der Forschung waren schwer zu bekommen, wenn man wie ich eine extrem langsame Leitung im tiefsten Walldorf / Wiesloch hatte.
Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg… Gerade da merkte ich, wie offen und austauschfreudig die Forschungs-Community war. Es gab kein Twitter, Facebook, Instagram oder ähnliches. Für mich scheint diese Zeit gar nicht so lange her, aber meine Kinder können sich so eine Welt kaum vorstellen. Die Unterhaltungen und der Austausch verliefen über Kongresse oder Mailing-Gruppen. Für die, die auch schon länger Bilder analysieren: Zu dem Zeitpunkt wurde Open-CV erst gestartet.
Ich forschte an der Analyse von Bildern ⎼ als Hobby nebenbei ⎼ und studierte Management und Marketing, arbeitete im E-Commerce oder in der Beratung. Dann lernte ich Dr. Tilo Höpker während eines Fluges kennen, und wir freundeten uns an. Bei einem gemeinsamen Essen stellte ich ihm meine Idee vor: eine Empfehlungstechnologie, deren Basis aus Daten aus Produktbildern kommen sollte, statt aus den Texten. Die Idee war mir gekommen, weil ich zu dem Zeitpunkt an einer Produktsuchmaschine arbeitete und sah, wie viele fehlerhafte Daten in den Produktfeeds vorhanden waren und wie viele Informationen zum Produkt fehlten, obwohl sie jeder, anhand des Produktbildes, sehen konnte.
Tilo fand die Idee super, würde auch gleich bei der Gründung eines Unternehmens einsteigen, das das anbot. Aber er wollte sich noch eine zweite Meinung einholen. Beim nächsten Treffen war dann Daniel Raschke auch mit dabei, der inzwischen ein guter Freund von mir ist. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt noch nicht, waren aber sofort auf der gleichen Wellenlänge. Zu dritt starteten wir im Oktober 2010 die Picalike GmbH. 10 Jahre ist dies nun her.
Der Start
Meine erste Lektion war, dass primär ein Markt für eine Technologie reif sein muss und nicht die Technologie marktreif. Wer schon mal ein technologisches Produkt auf den Markt bringen musste, weiß, was ich meine. Ich bin nicht der geborene Sales-Typ, vermeide gern Menschen und Menschenmengen, will nicht im Rampenlicht stehen und erzähle viel über die Technik und zu wenig über den Benefit. Wer aber ein Start-up gründet, muss sich auch um den Vertrieb kümmern. Die ersten Kunden waren schnell gefunden. Fashionhype.com und weare.de sind schnell von Kunden zu Entwicklungspartnern und dann zu Freunden und Teil der Familie geworden.
Zu den reinen Daten aus den Bildern wurden bald auch das Kundenverhalten und die Korrelation unter den Produkten sowie das Filtern nach allen Daten zum Produkt mit berücksichtigt, um noch bessere Empfehlungen zu liefern. Zur Similarity Recommendation (Ähnlichkeitserkennung, wie “Ähnliche Artikel”) gesellte sich dann die Complete-the-Look-Empfehlung (Outfit-Empfehlung, wie “Das passt dazu”). Für uns, wie für jedes Start-up, begann schnell die Zeit, in der man einen Spagat machen muss zwischen Kunden-Support und Weiterentwicklung. Nicht jeder Kunde braucht dasselbe, und wir waren ein feines aber noch kleines Team. Tagsüber half ich beim Kundensupport, nachmittags pitchte ich Picalike, wo ich nur konnte, und abends wurde weiterentwickelt. Es gab Tage, an denen ich dachte, dass wir den nächsten riesigen Schritt machen würden (technologisch oder umsatztechnisch) und es gab Tage, an denen ich mich fragte, ob es wirklich eine gute Idee war, einen sicheren Job aufzugeben. Ich bereue den Sprung in die Selbstständigkeit nicht, aber vieles würde ich heute anders machen.
Eines Tages klingelte mein Telefon (es war damals eine Hansenet-Leitung, wer kennt die noch?). Ein junger Typ von der OTTO-Gruppe war dran, der einen Beitrag im Magazin der Handelskammer gelesen hatte. Wir unterhielten uns, und er machte einige Intros zu OTTO.de, Bonprix, Shopping24 und weiteren. So bekam ich die Möglichkeit, unsere Technologie den Big Playern vorzustellen. Dieses Telefonat war für die nächsten 9 Jahre ausschlaggebend. Ich präsentierte nicht nur vor den genannten Unternehmen, sondern auch vor der OTTO-Gruppe selbst, die sich entschied, in uns zu investieren. Vor der Unterzeichnung des Gesellschaftervertrags hatten wir uns vorgenommen, wenn dieser unterzeichnet wurde, würden wir alle mega feiern gehen. Wir hatten wilde Vorstellungen von Partys im Doll House auf der Reeperbahn oder davon, eine große private Feier zu organisieren. Und dann das: Nach der Unterzeichnung ging jeder nach Hause, legte sich hin, schlief schnell ein paar Stunden und am nächsten Morgen begann die Arbeit von vorn.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
In kürzester Zeit stellten wir ein hochmotiviertes Team zusammen, wechselten in ein größeres Büro und investierten in Marketing, Produktentwicklung und Forschung. Schnell konnten wir von einer Handvoll Kunden auf Dutzende Kunden heranwachsen, öffneten ein Büro in den USA (zuerst SF und wechselten dann nach NY), starteten Partnerschaften mit renommierten Unternehmen und freuten uns über das steigende Interesse. Alles sah gut aus. Wir wuchsen, es kamen neue Kunden dazu, die immer internationaler wurden und sehr spannende Projekte und Cases mit uns vorhatten.
Mit der Zeit fiel uns auf, dass die Dynamik unseres Wachstums sich abschwächte. Die Projekte wurden komplexer, die Budgets wurden kleiner, die Konkurrenz vielfältiger. Unser Ansatz, aus “Kundenwunsch -> Forschung -> Projekt -> Produkt” zeigte seine Schwächen. Wir mussten uns eingestehen, dass Forschen Spaß macht, sich aber finanziell nicht so leicht skalieren lässt. Und so analysierten wir die Schwächen unseres Geschäftsmodells, die Stärken unseres Teams und Systems und setzten auf ein Start-up innerhalb des Start-ups. In anderen Worten: ein Soft Opening.
Ein paar Schritte zurück für den Anlauf
Willkommen in der Welt der Portfolio Analyse. 🙂 Anhand mehrerer Analysen erkannten wir, dass wir zu sehr von der Verfügbarkeit der technischen Ressourcen bei unseren Kunden abhängig waren, dass wir einen schnellen und leichten Einstieg in unsere Picalike-Welt schaffen und einen nachweisbaren, sich wiederholenden Mehrwert für unsere Kunden erbringen müssen. Somit starteten wir mit mehreren A/B-Tests, Case Studies, Umfragen, Interviews und neuen Positionen innerhalb des Teams. Wichtig war auch, dass Forschung weiterhin eine hohe Priorität in unserem Alltag behielt. Mithilfe unserer Kunden, Partner und des Teams starteten wir die Entwicklung von OnSight-Analytics. Geplant war eine Entwicklungszeit von einem halben Jahr.
Die Realität ist aber kein guter Freund der Planung: Zwei Jahre später starten wir mit der Open Beta. Einige Herausforderungen waren doch größer als erwartet, das Tagesgeschäft durfte nie vernachlässigt werden, und wir mussten viel von unseren Pilot-Partnern lernen. Von Anfang an hatten wir uns aber commited, keine Kompromisse bei der Qualität einzugehen, auch wenn es länger dauern würde, und dazu stehen wir auch jetzt noch. Auch in einer Zeit, in der Corona unser aller Leben verändert hat.
Die letzten Monate waren wie die ersten Monate: Sehr viele Ups and Downs. Aufbruchstimmung gefolgt von Rückschlägen. Was aber bleibt, ist, dass in den letzten 10 Jahren kein Tag wie der andere war, viele Geschichten geschrieben wurden, wir viel gelernt haben, und nun für die nächsten 10 Jahre weiter dazulernen und das bereits Gelernte in die Tat umsetzen wollen.
Vielen Dank an das Team für die unglaubliche Unterstützung und Loyalität, unseren Kunden für die tolle und immer spannende Zusammenarbeit und allen anderen, die uns auf unserem Weg in den letzten 10 Jahren begegnet sind, dass ihr unser Leben bereichert und unseren Weg geprägt habt.
Bleibt gesund und nehmt teil an den nächsten Etappen unserer Reise.
Viele Grüße
Sebastian Kielmann